niederländische Literatur

niederländische Literatur
niederländische Literatur,
 
die Literatur in niederländischer Sprache, d. h. die volkssprachliche Literatur in den Niederlanden und Flandern. (flämische Literatur)
 
Mittelniederländische Literatur:
 
Die geschriebene Überlieferung beginnt erst am Ausgang des 12. Jahrhunderts mit Heinrich von Veldeke. Für die Zeit zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert ist neben der besonders Ritterepik mit karolingischen (Karel ende Elegast) und antiken oder orientalischen Erzählstoffen sowie Artusromane (»Walewein«) umfassenden weltlichen Dichtung eine reiche geistliche Epik überliefert: Die Brabanter Begine Hadewijch verfasste in der Mitte des 13. Jahrhunderts von der Metaphorik des Minnesangs beeinflusste mystische Gedichte. Ein anderes Beispiel der Frauenmystik des 13. Jahrhunderts ist das Werk der Zisterzienserin Beatrijs van Tienen (auch Beatrijs van Nazareth, * 1200, ✝ 1268). Weiterhin sind v. a. Willem van Afflighems (* 1210, ✝ 1297) »Leven van Sinte Lutgard« und die anonyme Verslegende »Beatrijs« (13. Jahrhundert) zu nennen; im 14. Jahrhundert dann besonders die für die Devotio moderna grundlegende Prosa J. van Ruusbroecs und G. Grootes. Vertreter der lehrhaften bürgerlichen Dichtung waren J. van Maerlant und Jan van Boendale (* 1279, ✝ zwischen 1343 und 1350). Die Erzähldichtung erreichte ihren Höhepunkt mit »Van den vos Reinaerde« (Reinecke Fuchs); die Abele Spelen charakterisieren das weltliche Drama des 14. Jahrhunderts.
 
 
und Reformation: Die Zeit zwischen 1450 und 1585 wird oft als eigenständige Periode der niederländischen Literatur aufgefasst. Sie war geprägt durch die Rederijkers, die wichtige Funktionsträger der städtischen Festkultur waren. Neben ihrer v. a. auch Refrain und Rondeau (Ringelgedicht) pflegenden Lyrik schufen sie bedeutende Dramen und geistliche Spiele (Moralitäten) wie »Elckerlijk« (Jedermann) und Mariken von Nimwegen. - Die Reformation fand ihren Niederschlag in verschiedenen literarischen Gattungen. In der Lyrik verherrlichten die Geusenlieder (Geusen) den Aufstand gegen Spanien, in der Prosa wirkte v. a. die Satire des P. van Marnix gegen die katholische Kirche lange Zeit nach.
 
Renaissance, Barock, Klassizismus und Aufklärung:
 
Die Frührenaissance stand unter französischem Einfluss, v. a. der Pléiade, so z. B. bei J. B. van der Noot. Der Krieg gegen Spanien führte nach dem Fall von Antwerpen (1585) zur Spaltung in die nördliche und südliche Niederlande. Der größere Teil der kulturellen Oberschicht des Südens wanderte daraufhin aus, meist nach Holland, wo die Renaissanceliteratur im »goldenen Zeitalter« der ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts einen Höhepunkt erreichte (»Statenbijbel«, 1637). Zu den bekanntesten Dichtern zählen u. a. P. C. Hooft, G. A. Bredero, J. van den Vondel, J. Cats und C. Huygens. - Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde der französische Klassizismus zum Vorbild, gefördert durch literarische Gesellschaften wie die 1669 gegründete »Nil volentibus arduum«. Bedeutend waren, neben dem sich dann v. a. der pietistischen Emblematik zuwendenden J. Luyken (»Duytse Lier«, 1671), die Dramen von L. Rotgans, Komödien von P. Langendijk sowie die Lyrik von Hubert Kornelisz. Poot (* 1689, ✝ 1733). - Aufklärer. Positionen wurden seit etwa 1720 in moralischen Wochenschriften nach englischem Modell verbreitet. Hauptvertreter dieses Genres war Justus van Effen (* 1684, ✝ 1735) mit »De Hollandsche Spectator« (1731-35). In den südlichen Niederlanden vertraten Justus de Harduyn (* 1582, ✝ 1636) und A. Poirters im 17. und 18. Jahrhundert die volkssprachliche Literatur.
 
 
Wichtigster Vertreter der sehr sentimentalen romantischen Literatur seit etwa 1770 war Rhijnvis Feith (* 1753, ✝ 1824; »Julia«, 1783); romantische Auffassungen in klassizistischem Gewand finden sich bei W. Bilderdijk. Der nationale Zug in der Romantik war in der Literatur des niederländischen Norden zwischen 1800 und 1820 stark vertreten, im Süden führte er zu einer Neubelebung der volkssprachlichen Dichtung, u. a. durch J. F. Willems und H. Conscience, die den historischen Roman in den Dienst der Flämischen Bewegung stellten. Auch im Norden behandelte der historische Roman Szenen aus der nationalen Vergangenheit, so bei J. van Lennep und Anna Louise Geertruida Bosboom-Toussaint (* 1812, ✝ 1886). Der bedeutendste Literaturkritiker war E. J. Potgieter (Gründer der Zeitschrift »De Gids«, 1837). - Ein kleinbürgerlich-humoristischer Realismus, der seine Wurzeln schon früh, etwa bei Agatha Deken und Elizabeth Wolff-Bekker hat, findet sich in den Erzählungen von N. Beets. Den eigentlichen Weg zur Moderne bahnten der niederländischen Literatur neben Conrad Busken-Huet (* 1826, ✝ 1886) v. a. Multatuli und der flämische Priester G. P. Gezelle.
 
 
In den 1880er-Jahren suchte die Bewegung der Tachtigers den Anschluss an die europäischen literarischen Strömungen, v. a. an die englische Romantik sowie den französischen Naturalismus und Impressionismus. Hauptvertreter dieser Richtung, deren 1885 gegründete Zeitschrift den programmatischen Titel »De Nieuwe Gids« trug, waren W. J. T. Kloos, H. Gorter, A. Verwey, Frederik Willem van Eeden (* 1860, ✝ 1932), Henriëtte Roland-Holst-van der Schalk (* 1869, ✝ 1952) und K. J. L. Alberdingk Thijm. Bedeutende literarische Beiträge lieferten auch H. Couperus, H. Heijermans und Johan de Meester (das ist Eliza Johannes, * 1860, ✝ 1931). Parallel zu den »Tachtigers« entstand in Flandern die Bewegung »Van Nu en Straks«, die für eine »Europäisierung« der flämischen Literatur eintrat (A. Vermeylen, Karel van de Woestijne, * 1878, ✝ 1929, C. Buysse, S. Streuvels).
 
Die 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts bot eine Fülle von Strömungen. Vertreter einer neuen Romantik in der Poesie, mit stilistischem Raffinement, waren P. N. van Eyck, A. Roland-Holst, J. C. Bloem, M. Nijhoff. Neuromantische Romane schrieb A. van Schendel. Der Heimatroman war v. a. in Flandern stark vertreten (F. Timmermans, E. A. J. Claes). Ironischer Realismus findet sich in W. Elsschots Erzählungen. - Um den Ersten Weltkrieg setzte sich der Expressionismus durch. Hauptvertreter in der Lyrik war P. A. van Ostaijen; bedeutend waren auch die dichterischen Beiträge von H. Marsman; als wichtigster expressionistischer Romanautor gilt F. Bordewijk. In den 30er- und 40er-Jahren wurde der Roman auf unterschiedlicher Weise erneuert: Vertiefung der Dorfgeschichte (G. Walschap), autobiographische, intellektualistische, psychologisch-analysierende Erzählungen (S. Vestdijk, M. Gijsen, Marianne Philips, * 1886, ✝1951), magischer Realismus (J. Daisne, später H. Lampo), Neonaturalismus (L.-P. Boon). Die literarische Kritik erreichte ein hohes Niveau bei J. Greshoff, C. E. Du Perron und M. ter Braak. - Die Erneuerungsbewegung der 50er-Jahre (»Vijftigers«) war um eine Darstellung der Totalität des Lebens bemüht und wandte sich gegen die Erstarrung im Konventionellen. Hauptvertreter waren Lucebert, G. Kouwenaar, Jan G. Elburg (* 1919, ✝ 1992), Rudy Kousbroek (* 1929), Jan Hanlo (* 1912, ✝ 1969), R. W. Campert, Simon Vinkenoog (* 1928), in Flandern, v. a. um die Zeitschrift »Tijd en mens«, Boon und H. Claus. In der Literatur der 60er-Jahre spiegelte sich das gewandelte Selbstverständnis der Gesellschaft und das von der Zeitstimmung geprägte Lebensgefühl vieler Autoren, v. a. in der Hinwendung zu einem neorealistischen beziehungsweise dokumentarischen Schreiben. Für die Lyrik sind hier besonders H. de Coninck, K. Schippers (das ist Gerard Stitgter, * 1936), J. Bernlef, in Flandern zunächst Claus, dann v. a. Gust Gils (* 1924), P. Snoek, Hugues C. Pernath (* 1931, ✝ 1975) und Stefaan van den Bremt (* 1941) zu nennen; die Prosa repräsentieren u. a. Mensje van Keulen (* 1946), J. Wolkers und Boon. Über mehrere Jahrzehnte präsent sind W. F. Hermans, der auch als Polemiker und Publizist das literarische Leben prägte, Hella S. Haasse sowie die bereits seit Ende der 40er-Jahre produktiven H. Mulisch, Claus, C. Nooteboom und G. Reve. Hierauf folgte in den 70er-Jahren eine neoromantische und neodekadente Gegenbewegung, u. a. Judith Herzberg, Rutger Kopland (* 1934; eigentlich R. Hendrik van den Hoofdakker), Leonard Nolens (* 1947), G. Komrij, Geerten Meijsing (* 1950) und Herman Portocarero (* 1952). Zu den Vertretern einer betont experimentellen niederländischen Literatur zählten schon früh I. Michiels, Sybren Polet (* 1924; eigentlich Sybe Minnema) sowie Daniel Robberechts (* 1937, ✝ 1992). Überregionale Bedeutung in der Lyrik erlangte Anna Enquist (* 1945) und in der so genannten leichten Poesie die international als Kinderbuchautorin renommierte Annie M. G. Schmidt. Das Werk von M. 't Hart leitet in die 80er-Jahre über, zu deren herausragenden Literaten auch Adrianus Franciscus Theodorus van der Heijden (* 1951) gerechnet wird. Zeitkritisch und stark individuell ist das Werk von W. Ruyslinck. Daneben gehören zu den wichtigsten Autoren der jüngeren und jüngsten niederländischen Literatur v. a. A. K. Kossmann, D. A. Kooiman (* 1946), Nicolaas Matsier (* 1945; eigentlich Tjit Reinsma), Frans Kellendonk (* 1951, ✝ 1990), Doeschka Meijsing (* 1947) sowie W. van den Broeck, Monika van Paemel, Connie Palmen (* 1955), Tessa de Loo (* 1946) und Leon de Winter (*1954).
 
 
J. te Winkel: De ontwikkelingsgang der Nederlandsche letterkunde, 7 Bde. (Haarlem 21922-27, Nachdr. Utrecht 1973);
 G. P. Knuvelder: Handboek tot de geschiedenis der Nederlandse letterkunde, 4 Bde. (Herzogenbusch 51970-76);
 C. G. N. de Vooys u. G. Stuiveling: Schets van de Nederlandse letterkunde (Groningen 311971);
 
Kritisch Lexicon van de Nederlandstalige Literatuur na 1945, hg. v. A. Zuiderent u. a., Losebl. (ebd. 1980 ff.);
 
De Nederlandse en Vlaamse auteurs. Van middeleeuwen tot heden met inbegrip van de Friese auteurs, hg. v. G. J. van Bork u. a. (Weesp 1985);
 
Lit. in den Niederlanden u. Flandern, hg. v. H. Vekemann u. a. (1986);
 
Die niederländ. u. fläm. Lit. der Gegenwart, hg. v. F. Ligtvoet u. M. van Nieuwenborgh (1993);
 H. van Uffelen: Moderne n. L. im dt. Sprachraum 1830-1990 (1993);
 H. van Uffelen: Bibliogr. der modernen n. L. in dt. Übers. 1830-1990 (1993).

Universal-Lexikon. 2012.

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